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Qianhong Gotsch (Foto: Volker Arnold)

Hongi beendet ihre Karriere

Von Thomas Holzapfel. 

Dass der Zeitpunkt des Karriereendes in nicht allzu ferner Zeit einmal kommen würde, war
Qianhong Gotsch und ihrem Umfeld natürlich schon länger klar.

Schließlich befindet sich die Ausnahmespielerin mit ihren 57 Jahren im Winter ihrer beispiellosen Karriere, die im zarten
Alter von elf Jahren mit dem Verlassen des Elternhauses im chinesischen Tianjin und dem
Wechsel in ein Tischtennisinternat ihren Anfang nahm. Freilich hätte sich die Gärtringerin,
seit vergangener Saison im Trikot von Bundesligist SV DJK Kolbermoor, ihren Abschied von
der großen Bühne des kleinen Balles etwas anders vorgestellt. Nun sind es gesundheitliche
Gründe, die sie dazu zwingen, den Schläger an den vielzitierten Nagel zu hängen.
„Natürlich hatte ich mir das Karriereende etwas anders
vorgestellt“, sagt Qianhong Gotsch, die im gleichen Atemzug aber auch eine gewisse
Erleichterung verspürt, „ich fühle mich nun wohler, dass der Druck abgefallen ist.“ Damit
meint sie den Druck, sich auf hohem Niveau immer wieder neu beweisen zu müssen, die
Leistungskurve stetig oben zu halten. Was zuletzt immer schwerer fiel.
Über all die Jahre gelang es Qianhong Gotsch wie keiner anderen in Deutschland, auf
allerhöchstem Level gegen die Konkurrenz zu bestehen. Im Jahr 1991 siedelte die gebürtige
Chinesin nach Deutschland über, wurde in der früheren Heimat bereits Studenten-
Weltmeisterin, chinesische Meisterin (1986) und bestritt für China drei Länderspiele. Der
Weg nach Böblingen sollte für ihr weiteres Leben richtungsweisend sein, dort fand sie ihre
sportliche Adresse und lernte ihren späteren Ehemann Ingo Gotsch kennen. Über Jahrzehnte
prägte die sympathische Abwehrspielerin, die bei ihrem Spiel immer von einem
„Mischmasch“ sprach, die Damen-Bundesliga. Kenner der Szene wie Böblingens Pressechef
Manfred Schneider, der akribisch Buch führte, sprechen bei ihr von der erfolgreichsten
Bundesligaspielerin aller Zeiten.
„Blickt man auf die Länge ihrer Bundesligazugehörigkeit, verbunden mit den sportlichen
Ergebnissen und der Konstanz, ist das sicherlich richtig“, bestätigt auch Ingo Gotsch. Die
Zahlen sprechen Bände: In 24 Erstligajahren für die SV Böblingen, fünf weiteren für den TSV
Betzingen (1998-2003) und nun beim SV DJK Kolbermoor gewann Qianhong Gotsch im
normalen Punktspielbetrieb 684 Spiele und unterlag 173 Mal, davon gingen einige Einzel auf
Grund von Schwangerschaft und Verletzung kampflos an die Gegnerinnen. Die
Pflichtspielbilanz von Gotsch bei der SV Böblingen, inklusive Pokal- und PlayOff-Spiele,
liest sich mit 795:181 nicht minder spektakulär.
Ihre größten Erfolge im Einzelsport erspielte sich Gotsch in den knapp drei Jahren von 1998
bis 2000, in denen sie – vor Gründung ihrer Familie – den Fokus auf internationale Einsätze
legte. In Bremen wurde sie 2000 Einzel-Europameisterin, bei den Olympischen Spielen in
Sydney wurde sie nach einem unglücklichen Aus im Viertelfinale Fünfte und in der
Weltrangliste kletterte sie hoch bis auf Platz vier. Auf deutscher und europäischer Ebene
gewann sie alle renommierten Turniere und Ranglisten, im Mannschaftsport ergatterte sie mit
dem TSV Betzingen im Jahr 2003 den Europapokal. Mit der SV Böblingen, der sie über all
die Jahre sehr ans Herz gewachsen war, blieb ihr der große Traum vom deutschen
Mannschaftstitel verwehrt, lange stand bei ihr dabei die Vereinstreue im Vordergrund. Nach
der Auflösung der SVB-Mannschaft wurde in Kolbermoor ein weiterer Anlauf auf den DM-
Titel unternommen, der in der Vorsaison mit dem etwas überraschenden Aus im PlayOff-
Viertelfinale ein abruptes Ende nahm.
Für Qianhong Gotsch, die sich seit vielen Jahren auch kommunalpolitisch im Gärtringer
Gemeinderat engagiert, bricht nun eine neue Lebensphase an, die freilich nicht ohne den
Tischtennissport von Statten gehen kann. Als Trainerin von Vereinsmannschaften oder
einzelnen Spielern wird sie ihr Wissen und ihre Erfahrung an folgende Generationen
weitergeben. „Ich möchte mich ja weiterhin fordern, wenn auch mit weniger Stress“, meint
Qianhong Gotsch, „es ist mir sehr wichtig, dem Sport nun etwas zurückzugeben.“ Auf die
Frage, ob es vorstellbar sei, den Schläger mal in unteren Spielklassen wieder in die Hand zu
nehmen, hat sie eine klare Meinung: „Das ist eher nicht vorstellbar.“ Ihr Ehemann hat die
Erklärung parat: „Auch auf Grund ihrer chinesischen Schule hat Hongi immer die höchsten
Ansprüche an sich selbst, das ist unabhängig von der Liga. Insofern wäre das
kontraproduktiv.“
Über 46 Jahre betrieb Qianhong Gotsch aktiv den Tischtennissport, quasi von Beginn an auf
höchstem und professionellen Leistungsniveau. Oftmals – gerade in jungen Jahren –
verbunden mit privaten Entbehrungen, aber auch mit zig unvergesslichen Momenten und
Erlebnissen. Dieses beispiellose Kapitel im Frauen-Tischtennis wird nun zugeschlagen, aber
wird in Tischtenniskreisen sicherlich nie in Vergessenheit geraten. Ingo Gotsch blättert in
alten Zeitungsberichten. „Es waren schöne Zeiten“, sagt er.
Auch beim SV DJK Kolbermoor hat man die Nachricht vom abrupten Karriereende mit
Bedauern zur Kenntnis genommen. „Es ist sehr schade, dass Hongi aufhören muss und dass
das Engagement leider nicht so klappte, wie es sich beide Seiten vorgestellt haben. Wir hätten
gerne mit ihr um den deutschen Mannschaftstitel gekämpft, der ihr ja noch in ihrer großen
Erfolgssammlung fehlte“, sagt Kolbermoors Abteilungsleiter Dr. Michael Fuchs, „von
Vereinsseite haben wir jedoch größtes Verständnis für die Situation und wünschen Hongi für
die Zukunft Gesundheit und alles Gute.“ Im Rahmen der Deutschen Pokalmeisterschaften, die
am 10. und 11. Januar 2026 in Kolbermoor zur Austragung kommen, wird Qianhong Gotsch
in Gegenwart aller Bundesligisten und sicherlich zahlreicher Weggefährten gebührend
verabschiedet. Und nicht wenige der Anwesenden dürften dann mit Hochachtung und Respekt
auf die außergewöhnliche Karriere einer Tischtennis-Ikone blicken.